Sommersemester 2023
(Vorlesungsbeginn: 17. April 2023)
Dogmatik
Dozent: Prof. Dr. Christoph Binninger
Gnadenlehre
„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“
(1Kor 1,2b)
Die Lehre von der Gnade beschäftigt sich mit dem Mysterium. Wie das von Christus erworbene Heil dem einzelnen Menschen geschenkt wird, damit er Anteil am göttlichen Leben gewinnt. Es geht um „den Übergang der Heilstat Jesu Christi im Heiligen Geist auf den Einzelnen und dessen Einbeziehung in die Geschichte des Heils.“ (Scheffczyk)
In einem ersten Teil widmet sich die Vorlesung der biblischen Grundlegung der Gnadenlehre und deren theologiegeschichtlicher Entfaltung (u.a. Augustinus, Thomas von Aquin, Reformatoren und das Konzil von Trient).
Der zweite Teil der Vorlesung stellt sich systematischen Fragestellungen (u.a. Verhältnis von Gnade und Freiheit. Prädestination, Rechtfertigung, aktuelle und heiligmachende Gnade, Verdienst).
(1 SWS)
Literatur:
PESCH, O. H., PETERS, A., Einführung in die Lehre von der Gnade und Rechtfertigung, Darmstadt 19943.
GRESHAKE, G., Geschenkte Freiheit. Einführung in die Gnadenlehre, Freiburg/Br. 1992.
GANOCZY, A., Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen. Grundriss der Gnadenlehre, Düsseldorf 1989.
MÜLLER, G.H., Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg/Br. 19983.
BINNINGER, C., Mysterium inhabitationis Trinitatis. M. J. Scheebens theologische Auseinandersetzung mit der Frage nach der Art und Weise der übernatürlichen Verbindung der göttlichen Personen mit dem Gerechten: MthS 62, München 2003.
KKD V.
HDG III,5b.
MySal IV,2.
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Ekklesiologie
„In eben dem Maß als einer die Kirche liebt, in eben dem Maß hat er den Heiligen Geist.“ (Augustinus)
In einer Zeit, in der noch immer der verhängnisvolle Slogan „Jesus: Ja – Kirche: Nein!“ bei vielen Menschen gegenwärtig ist, möchte die Vorlesung auf das Wesen und die Bedeutung der von Christus gestifteten Kirche näher eingehen.
(3 SWS)
Literatur:
CONGAR, Y., Die Kirche als Volk Gottes, in: IKaZ 1(1965) 5 – 16.
JOHANNES PAUL II., Nachsynodales Schreiben Christifideles Laici über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt.
RATZINGER, J., Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums, in: IKaZ 15 (1986) 41 – 52.
SCHEFFCZYK, L., Das Unwandelbare im Petrusamt, Berlin 1971.
SCHLIER, H., Die Zeit der Kirche, Freiburg/Br. 1956.
BINNINGER C., „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht.“ Berufen zum Aufbau des Gottesreiches unter den Menschen. Die Laienfrage in der katholischen Diskussion in Deutschland um 1800 bis zur Enzyklika „Mystici Corporis“ (1943): MThS 61, München 2002.
KEHL M., Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1992.
KKD VIII.
HDG III, 3b.
Liturgiewissenschaft
Dozent: Dr. Sven Boenneke
Liturgie II: Das Pas’cha-Mysterium in Jahreskreis und Tagzeitenliturgie
Im zweiten Semester der Liturgievorlesung wird aufbauend auf der Fundamentalliturgik die Feier des Pas’cha-Mysteriums anhand des Kirchenjahres und des Stundengebets liturgietheologisch vertieft und liturgiepastoral konkretisiert.
„Im Kreislauf des Jahres entfaltet“ die Kirche in ihrer Liturgie „das ganze Mysterium Christi“ (SC 102): im zeitlichen Rhythmus von Tag, Woche und Jahr, der Sonntags- und Osterfeier sowie den Festen und Zyklen des Jahreskreises. Deren prägende Symboliken und Typologien ebenso wie ihre historische Entwicklung werden auf die gegenwärtig gefeierte Liturgie hin erschlossen.
Die Tagzeitenliturgie hat die „Heiligung des Tages“ unter Berücksichtigung der „heutigen Lebensverhältnisse“ zum Ziel (SC 88). Sie soll „als öffentliches Gebet der Kirche auch Quelle der Frömmigkeit und Nahrung für das persönliche Beten“ (SC 90) bleiben. Auch hier wird die geschichtliche Entwicklung mit einem Schwerpunkt auf die Vorgaben von SC für einen Vollzug „mit geistlicher Frucht“ (SC 94, vgl. AES 11) dargestellt werden.
(2 SWS)
Literatur:
AUF DER MAUR, H., Feiern im Rhythmus der Zeit I: Herrenfeste in Woche und Jahr, bei: Gottesdienst der Kirche 5, Regensburg 1983.
ADAM, A., Das Kirchenjahr mitfeiern, Freiburg i. B. u.a. 1979.
Allgemeine Einführung in das Stundenbuch.
BRADSHAW, P. F., JOHNSON M. E., The origins of feasts, fasts, and seasons in early Christianity, London 2011.
BUNGE, G., Irdene Gefässe. Die Praxis des persönlichen Gebetes nach der Überlieferung der heiligen Väter, Beuron 52017.
DANIELOU, J., Liturgie und Bibel. Die Symbolik der Sakramente bei den Kirchenvätern, München 1963.
HÄUSSLING, A. A., KLÖCKENER, M. (Hg.), Tagzeitenliturgie in Geschichte und Gegenwart. Historische und theologische Studien (LQF 100), Münster 2012.
PLOEGER, J. G. (Hg.), Gott feiern. Theologische Anregung und geistliche Vertiefung zur Feier von Messe und Stundengebet (FS Th. Schnitzler), Freiburg i.B. 1980.
TAFT, R. F., The Liturgy of the Hours in East and West. The Origins of the Divine Office and its Meaning for Today, Collegeville/Min. 1986 u.ö.
Moraltheologie
Dozent: Prof. Dr. Clemens Breuer
Grundlegung der Moraltheologie (I und II)
Gegenstand und Methode der Moraltheologie
Blick in die Geschichte der Moraltheologie
Die Erkenntnisquellen der Moraltheologie: Glaube und Vernunft (Teil I)
Die Frage nach der Bedeutung der Worte „gut“ und „böse“, „gut“ und „schlecht“ gehört zu den ältesten Fragen der Menschheit. Die Frage nach der Sittlichkeit gehört somit unleugbar auch zur Theologie. Die Theologie muss sich deshalb nicht nur um die Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheit bemühen, sondern dem Menschen zugleich auch zeigen, wie er sein Leben nach dem Willen und Plan Gottes gestalten kann bzw. soll. „Die Moral ist jener Teil der Theologie, in dem die Normen des freien menschlichen Handelns im Lichte der Offenbarung erforscht werden.“ (F. Böckle) In der Vorlesung soll eingehend nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen der Moraltheologie und der Moralphilosophie gefragt werden. Unabdingbar sind im Weiteren Einblicke in die Geschichte der Moraltheologie, die bisweilen auch als „unruhige“ Disziplin bezeichnet wird. Erst vor dem Hintergrund der Geschichte wird erkennbar, in welcher Art und Weise und mit welchen Inhalten moraltheologisches Sprechen und Handeln in unserer Zeit gerechtfertigt ist bzw. unabdingbar erscheint. Dass die beiden Erkenntnisquellen der Moraltheologie, Glaube und Vernunft, hierbei eine entscheidende Gewichtung erhalten müssen, wird eingehend angesprochen. Vieles spricht dafür, in der heutigen Zeit die „Perspektive der Moral“ anhand des Paradigmas einer „Tugendethik“ zu begründen (vgl. M. Rhonheimer, E. Schockenhoff etc.).
(3,5 SWS)
Literatur:
Enzyklika „Fides et ratio“ von Johannes Paul II. über das Verhältnis von Glaube und Vernunft (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 135), Bonn 1998 (6. Auflage 2008).
BÖCKLE, F., Grundbegriffe der Moral. Gewissen und Gewissensbildung, Aschaffenburg 8. Auflage 1977.
BREUER, C. (Hg.): Ethik der Tugenden. Menschliche Grundhaltungen als unverzichtbarer Bestandteil moralischen Handelns, St. Ottilien 2000.
PIEGSA, J., Der Mensch – das moralische Lebewesen. Fundamentale Fragen der Moraltheologie, St. Ottilien 1996.
RATZINGER, J., Kirchliches Lehramt – Glaube – Moral, in: Ders., Prinzipien Christlicher Moral, Einsiedeln 1975, S. 41-66.
RHONHEIMER, M., Die Perspektive der Moral. Philosophische Grundlagen der Tugendethik, Berlin 2001.
SCHOCKENHOFF, E., Naturrecht und Menschenwürde. Universalistische Ethik in einer geschichtlichen Welt, Mainz 1996.
SCHOCKENHOFF, E., Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg/Br. 2007.
SPAEMANN, Robert, Moralische Grundbegriffe, München, unveränderte 8. Auflage 2009 (1. Auflage 1982).
AT-Exegese
Dozent: Prof. Dr. Oliver Dyma
Ijob (Hiob)
Das Buch Ijob stellt uns vor die theologisch brisante Frage des Leids, speziell des Leidens des Gerechten. Verschiedene Perspektiven werden eingenommen und Antwortmöglichkeiten durchgespielt. Die mannigfaltige Aufnahme der Frage und der Figur des Ijob sowie die reiche Sekundärliteratur gerade auch der letzten Jahre zeigen, dass wir damit nicht zu Ende kommen, dass es eine Antwort auf die Theodizee-Problematik letztlich nicht gibt. Der Glaube und das theologische Nachdenken rühren an ihre Grenze.
Neben den verschiedenen traditionellen Argumentationsmustern, die im Text auf die einzelnen Charaktere aufgeteilt sind, ist auch die literarische Strategie interessant: Die Leserinnen und Leser nehmen eine beobachtende Perspektive der Handlung ein, bekommen zugleich ihre eigenen Argumentationen vor Augen geführt und müssen sich letztlich selbst eine Meinung bilden.
(3 SWS)
Literatur:
MEIK, G., Gott und das Leiden. Antworten der babylonischen Dichtung Ludlul bēl nēmeqi und des biblischen Hiobbuches (BEATAJ 60), Frankfurt/M. 2017.
HECKL, R., Hiob – vom Gottesfürchtigen zum Repräsentanten Israels. Studien zur Buchwerdung des Hiobbuches und zu seinen Quellen (FAT 70), Tübingen 2010.
LUX, R.,Hiob. Im Räderwerk des Bösen (Biblische Gestalten 25), Leipzig 2012.
SCHMID, K., Hiob als biblisches und antikes Buch. Historische und intellektuelle Kontexte seiner Theologie (SBS 219), Stuttgart 2010.
SCHWIENHORST-SCHOENBERGER, L., Ein Weg durch das Leid. Das Buch Ijob, Freiburg u.a. 2007.
STIER, F., Das Buch Ijob, hrsg. von E. Beck und M. Sonntag, Stuttgart 2011.
WITTE, M. (Hrsg.), Hiobs Gestalten. Interdisziplinäre Studien zum Bild Hiobs in Judentum und Christentum (Studien zu Kirche und Israel NF 2), Leipzig 2012.
WITTE, M., Hiobs viele Gesichter. Studien zur Komposition, Tradition und frühen Rezeption des Hiobbuches (FRLANT 267), Göttingen 2018.
Zur Vorbereitung: Lesen Sie zur Vorbereitung das Ijob-Buch durch sowie ergänzend dazu die Erläuterungen in einer Einleitung (Zenger bzw. Gertz) oder den Artikel von Markus Witte, Hiob / Hiobbuch: wibilex, https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/11644/, 2007.
Pastoraltheologie
Dozent: Prof. Dr. Veit Neumann
Die Pfarrei als zentraler kirchlicher Ort
Woher kommt die Pfarrei, wohin geht sie? Formen der Vergesellschaftung entwickeln sich, Ansprüche an die Pfarrei als kirchliche Organisation bleiben bestehen. Angesichts solcher Entwicklungen wird nach Modellen des Miteinanders als Christen und Christinnen gefragt, nicht zuletzt in Zeiten der Neustrukturierung bzw. Auflösung von Pfarreien. Wesentliche Merkmale der Pfarrei werden vorgestellt und kritisiert. Dabei geht es auch um die Kommunikation mit dem Ziel der Verkündigung und der Weitergabe des Glaubens.
(2 SWS)
Literatur:
DEGEN, Susanne, XXL-Pfarrei. Wie Menschen Kirche entwickeln, Würzburg, 2018.
KLOECKENER, Martin, SPICHTIG, Peter, Leib Christi sein – feiern – werden. Ort und Gestalt der Eucharistiefeier in der Pfarrei, Freiburg (Schweiz) 2006.
HERDER KORRESPONDENZ Spezial: Letzter Aufruf: Pastoral unter neuen Bedingungen, Freiburg i.Br. 2019.
SPIELBERG, B., Kann Kirche noch Gemeinde sein? Praxis, Probleme und Perspektiven der Kirche vor Ort, Würzburg, 2008.
Kirchenrecht
Dozent: Prof. Dr. Yves Kingata
Kirchliches Verfassungsrecht I und II
Die Vorlesung orientiert sich an der Systematik des Codex Iuris Canonici und bietet einen Abriss der zentralen Regelungen des Verfassungsrechts der katholischen Kirche mit Ausnahme des Ordensrechts: Dies entspricht zwei großen inhaltlichen Blöcken: Ein erster Teil setzt sich mit den Gliedern der Kirche auseinander und legt ihre rechtliche Stellung dar. Der zweite Block ist der hierarchischen Verfassung gewidmet und behandelt zusätzlich die Eigenart sowie die Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt der katholischen Kirche.
(2 SWS)
Literatur:
AYMANS, W., Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex iuris canonici. Begründet von Eduard Eichmann, fortgeführt von Klaus Mörsdorf, neu bearbeitet von Winfried Aymans, 13., völlig neu bearb. Aufl., Bd. I-IV, Paderborn u.a. 1991/1997/2007/2015.
DE WALL, H. / MUCKEL, S., Kirchenrecht. Ein Studienbuch, 5. Aufl. überarb., München 2017.
HAERING, S./ REES W./ SCHMITZ H. (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. grundlegend neubearb., Regensburg 2015.
LUEDICKE, K. (Hrsg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Essen seit 1985 (Loseblattwerk; Stand des Gesamtwerks: 61. Lfg., Februar 2022) (mit periodisch aktualisiertem Quellen- und Literaturverzeichnis).
MUELLER L./ OHLY, C., Katholisches Kirchenrecht: ein Studienbuch, 2. Aufl., Paderborn 2022.
RHODE, U., Kirchenrecht, Stuttgart 2015.
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Rechtliche Ordnung des Verkündigungsdienstes (Teil 1)
Die Vorlesung bietet einen Überblick über die Grundfragen des kirchlichen Verkündigungsdienstes der katholischen Kirche. Konkret setzt sie sich mit den kodikarischen Normen über Religionsfreiheit und Glaubenspflicht, Formen der Glaubensverkündigung sowie der katholischen Erziehung und Bildung auseinander. Zuletzt wird der Akzent auf die Förderung und den Schutz der Glaubens- und Sittenlehre gelegt.
(1 SWS)
Literatur:
AYMANS, W., Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex iuris canonici. Begründet von Eduard Eichmann, fortgeführt von Klaus Mörsdorf, neu bearbeitet von Winfried Aymans, 13., völlig neu bearb. Aufl., Bd. I-IV, Paderborn u.a. 1991/1997/2007/2015.
DE WALL, H./ MUCKEL S., Kirchenrecht. Ein Studienbuch, 5. Aufl. überarb., München 2017.
HAERING S./ REES W. /SCHMITZ H. (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. grundlegend neubearb., Regensburg 2015.
LUEDICKE, K. (Hrsg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Essen seit 1985 (Loseblattwerk; Stand des Gesamtwerks: 61. Lfg., Februar 2022) (mit periodisch aktualisiertem Quellen- und Literaturverzeichnis).
MUELLER, L./ OHLY, C., Katholisches Kirchenrecht: ein Studienbuch, 2. Aufl., Paderborn 2022.
RHODE, U., Kirchenrecht, Stuttgart 2015.
NT-Exegese
(Seminar)
Dozent: Prof. Dr. Hans-Ulrich Weidemann
„Geboren von einer Frau“ (Gal 4,4): Maria im Neuen Testament
Im Zentrum des Seminars stehen diejenigen neutestamentlichen Texte, die von der Mutter Jesu handeln. Neben den vier Evangelien, die natürlich den Schwerpunkt des Seminars bilden, sind dies auch Paulus (Gal 4,4f.) und die Apostelgeschichte (Apg 1,13f.). Hinzu kommt Offb 12, ein bis heute rätselhafter Text, der aber zumindest eine bedeutsame marianische Rezeptionsgeschichte gezeitigt hat und allein deswegen in den Kontext eines Seminars über Maria im Neuen Testament gehört.
Innerhalb der Evangelientradition spielt Maria insbesondere in den ganz mit biblisch-jüdischen Motiven gesättigten Kindheitsgeschichten (Lk 1–2 und Mt 1–2) eine entscheidende Rolle – ja sie spielt dort gleich mehrere wichtige Rollen: So ist sie Jungfrau, Ehefrau und Mutter, hilfsbereite Verwandte und Geflüchtete, und sie ist geisterfüllte Prophetin und kontemplative Zeugin, Psalmensängerin und Heroldin revolutionärer Umwälzungen, aber erlebt auch Zurückweisung und Schmerz. Zusammen mit jenen beiden Szenen des Johannesevangeliums, in denen die Mutter Jesu am „Anfang der Zeichen“ (Joh 2,1–11) und bei der „Vollendung“ am Kreuz (Joh 19,25–30) präsent ist, haben diese Texte nicht nur die kirchliche Mariologie, sondern auch die der Mutter Jesu entgegengebrachte Verehrung nachhaltig geprägt. Dasselbe gilt für die in den Kirchen ausgebildeten Geschlechterrollen, aber auch für die diversen asketischen Lebensstile, die die Entwicklung des Christentums von Anfang an begleiteten. Aufgabe des Seminars ist es aber auch, jene Texte zu beleuchten, die von den genannten prominenten Stimmen eher in den Hintergrund gerückt wurden. Dazu gehört beispielsweise Jesu brüske Zurückweisung von Mutter und Brüdern zu Beginn seines Wirkens (Mk 3,21.31–35 par).
Die Texte werden in den Seminarsitzungen exegetisch und bibeltheologisch erschlossen. Dabei geht es sowohl um die Ausfaltung der von den Autoren in den Erzählungen angelegten Sinnpotenziale als auch um deren (Re-)Kontextualisierung im pluralen Judentum des ersten Jahrhunderts. So werden beispielsweise Parallelen und Analogien zur jungfräulichen Empfängnis Jesu in der jüngeren Forschung nicht (bzw. nicht in erster Linie) im paganen Umfeld, sondern im zeitgenössischen hellenistischen Judentum aufgespürt, insbesondere bei Philo von Alexandrien.
Ein Thema des Seminars ist aber auch die (zumindest umrisshafte) historische Rückfrage nach Maria von Nazareth, die unter denselben hermeneutischen und methodologischen Prämissen steht, wie die Rückfrage nach Jesus. Wie Jesus ist auch seine Mutter konsequent innerhalb des pluralen Judentums vor der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr. zu rekontextualisieren, insbesondere innerhalb des Judentums Galiläas. Dies impliziert, dass Maria (wieder) als Teil der galiläischen Jesusfamilie verstanden wird, die in der Evangelienüberlieferung als „Brüder (und Schwestern) Jesu“ (Mk 3,31–35; 6,3; Mt 12,46–50; 13,55f.; Lk 8,19–21; Joh 2,12; 7,1–7) firmiert. Diese Jesusfamilie ist „nach Ostern“ Teil der sog. Jerusalemer Urgemeinde, die die neuere Forschung konsequent als Cluster innerjüdischer Gruppierungen zu beschreiben versucht, die durch Formen von „Jesus-Devotion“ (Larry W. Hurtado) miteinander vernetzt sind. Gemeinsam mit dem „Herrenbruder Jakobus“ und anderen Verwandten fand die Mutter Jesu nach dem Tod Jesu ja offenbar Anschluss an jenen Teil der christusglaubenden „Hebräer“ (Apg 6,1), der sich um die galiläische Jesusfamilie versammelte (vgl. Apg 1,14 mit 12,17). Wie v.a. die Kirchengeschichte des Euseb von Cäsarea (und die dort verarbeiteten Nachrichten des Hegesipp) zeigt, sind die „Herrenverwandten“ ein wesentliches, wenn auch weitgehend vergessenes Element der apostolischen Grundlage der späteren Kirchen.
Der Blick des Seminars geht aber auch über die Ränder des Neuen Testaments hinaus und nimmt mit dem Protevangelium des Jakobus einen Text aus dem zweiten Jahrhundert in den Blick, der die Rezeption der kanonischen Texte in der Frömmigkeits- und der Dogmengeschichte, aber auch die christliche Kunst massiv beeinflusst hat. Und da auch der Koran in gewissem Sinne zur Rezeptionsgeschichte biblischer Texte gehört, wird unter diesem Aspekt auch Maria im Koran thematisiert.
(2 SWS)
Literatur zum Einstieg:
BECKER, J., Maria. Mutter Jesu und erwählte Jungfrau (Biblische Gestalten 4), Leipzig 2001.
SCHNEIDER G., Evangelia Infantiae Apocrypha. Apocryphe Kindheitsevangelien (FC 18), Freiburg 1995.
SCHREIBER, S., Weihnachtspolitik: Lukas 1-2 und das Goldene Zeitalter, Göttingen 2009.
TATARI, M./ VON STOSCH, K., Prophetin – Jungfrau – Mutter. Maria im Koran, Freiburg 2021.
WEIDEMANN, H.-U. (Hg.), „Der Name der Jungfrau war Maria“ (Lk 1,27). Neue exegetische Perspektiven auf die Mutter Jesu (SBS 238), Stuttgart 2018.
WEIDEMANN, H.-U., Maria, Hilfe der Christen: ein Fest und sein Evangelium. Liturgiegeschichtliche und exegetische Beobachtungen zur johanneischen Kana-Erzählung (Joh 2,1–11), in: J. Kreiml / J. Werz (Hg.), Mariahilf. Geschichte – Theologie – Frömmigkeit, Regensburg 2021, 83–131.
Griechische Lektüre zur Vorlesung
(fakultativ)
Dozent: Prof. Dr. Hans-Ulrich Weidemann
In der Lektüre werden zentrale Texte aus dem Stoff des Seminars gemeinsam übersetzt und theologisch vertieft.